Michael Ebmeyer:
Eine andere Welt bleibt möglich
über Thomas Bartels’ »Sagan Dalja«
Sibirien. Kälte und endlose Weite? Straflager, Bodenschätze, Grubenunglücke im Permafrost? Berauschende Wildnis mit unverwüstlichen Bewohnern? Gipfel der Eisenbahnromantik?
Die Bilder haben wir alle im Kopf, und wir können sie auch bestätigt finden, wenn wir wirklich dorthin reisen. Aber sobald wir etwas genauer hinschauen, werden sie verblassen. Sie treten zurück hinter eine Erkenntnis und eine Frage.
Die Erkenntnis: Sibirien ist Musik.
Die Frage: Ist die Natur beseelt?
Zwei Leitmotive für einen Dokumentarfilm.
Sei es der Kehlkopf- und Obertongesang, seien es die Maultrommeln und diversen Saiteninstrumente, oder sei es der hypnotische Schlag der Trommeln: Sibirien klingt. Es ist von Klängen durchdrungen, es lebt in seinen Tönen und Rhythmen. Und sie sind es, die den Film »Sagan Dalja« tragen.
Zwei jugendliche Schlagzeuger am Rand eines Parks in der Großstadt Irkutsk legen los. Das Rattern der Waggonräder nimmt den Beat auf. Und später sehen wir, wie die Trommeln in den Händen der Schamaninnen und Schamanen selbst zu Lebewesen werden.
Oder sehen wir es nicht? Bilden wir es uns nur ein? »Sagan Dalja« folgt den Klängen und nimmt uns mit auf die Reise – ein Film, der vieles zeigt, aber nicht den Fehler begeht, es erklären zu wollen. Den Reim machen wir uns selbst.
Wir verlassen die Stadt und tauchen ein in die Taiga Burjatiens, danach in die Bergwälder Tuvas. Wir sehen, wie die Feuermutter die Flamme schwenkt. Wir sehen Schamanen Wodka aus dem Mund versprühen. Wir sehen, wie Opferschafe sterben. Wie viel von dem, was die Kamera einfängt, ist überliefertes Ritual, gelebter Brauch der alten sibirischen Völker – und wieviel daran ist Simulation für urbane Sinnsucher oder Spektakel für Transsib-Backpacker?
»Sagan Dalja« gibt keine Antworten, aber Einblicke. Menschen in Zwiesprache mit den Geistern einer wild gebliebenen Natur. Der Schamanismus ist keine Religion, sondern eine Weltanschauung.
Und diese andere Welt bleibt möglich: die Welt, die der Schamane oder die Schamanin auf ihren Reisen schaut. Auf den Luftwegen der Musik, die den Geistern gefällt.
Michael Ebmeyer ist Autor des Romans „Der Neuling“, verfilmt unter dem Titel: „Ausgerechnet Sibirien“.
Habe mir gestern deinen Film angeschaut.
Bin sehr angetan davon.
Willi Karow
Lieber Thomas,
habe mir gestern deinen Film angeschaut. Bin sehr angetan davon. Gefallen hat mir, dass du dir Zeit lässt beim Beobachten, so daß man ein Gefühl für die Zeit kriegt, die verstreicht bei so einem Ritual. Auch dass du die Erläuterungen auf ein Minimum reduziert hast, hat mir gefallen. Man muss nicht alles verstehen, man sieht und ahnt…
Die Passagen zwischen den 4 Rituellen Handlungen, ja, auch diese Überbrückungen, stilistisch so ganz anders und doch mit dem übrigen zu einer Einheit verschmolzen, haben mein Auge lustvoll stimuliert. Die Kamera, der Schnitt, ja auch der Ton – prima!
Also: Hat mich gefreut den Film sehen zu können.
Willi Karow
Willi Karow ist Filmjournalist und Mitbegründer des Kommunalen Kino in Freiburg.